Erzbischof Werner Thissen: Wie Weizenkörner
Predigt am 10. November 2005 in Hamburg
Eröffnung
Liebe Schwestern und Brüder, herzlich begrüße ich Sie, auch im Namen der Konzelebranten, zu dieser Eucharistiefeier, an deren Ende die Sessio ultima im Seligsprechungsverfahren der Lübecker Märtyrer steht. Wir haben den Kreis für diese Feier bewusst klein gehalten. Der heutige Tag ist zwar eine wichtige Etappe auf dem Weg der Seligsprechung. Aber der Weg ist noch weit. Sie alle hier sind auf irgendeine Weise an diesem Weg beteiligt.
Es hat einen tiefen Sinn, dass wir die letzte Sitzung des diözesanen Verfahrens der Seligsprechung mit dem Gottesdienst verbinden. Im Gottesdienst feiern wir die Gegenwart des lebendigen Gottes. Im Seligsprechungsverfahren machen wir deutlich: Das Leben und Sterben der Lübecker Märtyrer ist nicht verschwunden in den Untiefen der Vergangenheit. Das Leben und Sterben der Lübecker Märtyrer ist aufgehoben, selig aufgehoben in der immerwährenden Gegenwart Gottes. Im Gedenken der Märtyrer verehren wir das immer gegenwärtige Heilshandeln Gottes. Ihn rufen wir an im Kyrie um sein Erbarmen.
Predigt
Schwestern und Brüder, „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ Unsere Lübecker Märtyrer sind wie Weizenkörner. Sie haben reiche Frucht gebracht. Viele Menschen haben sich an ihnen aufgerichtet und so ihrerseits Frucht bringen können.
Damit das Gedenken der Märtyrer auch in Zukunft lebendig bleibt, haben wir alles gesammelt, was mit ihrem Leben und Sterben zu tun hat. Das Ergebnis sehen Sie hier: Ich werde gleich am Ende des Gottesdienstes alles Herrn Dr. Ambrosi übergeben. Dieser wird es der zuständigen Römischen Kongregation überreichen. Dort werden alle Unterlagen geprüft. Die Kirche macht es sich nicht leicht mit einem solchen Vorgang. Deshalb sind auch verschiedene Formvorschriften einzuhalten. Sie werden das nachher selbst miterleben, wenn dokumentiert, gesiegelt und unterschrieben wird. Dabei mischen sich Geistliches und Weltliches. Geistliches, weil es um das Glaubenszeugnis der Märtyrer geht. Weltliches, weil es nach menschlichen Maßstäben auch überprüfbar sein muss. Beides macht deutlich: Es geht in diesem kirchlichen Geschehen um den Geist Gottes. Aber es ereignet sich zugleich in den Bahnen der Bedingungen menschlicher Existenz.
Schon zu Beginn des Verfahrens war klar: Hier handeln zwei Bistümer gemeinsam. Das Bistum Osnabrück und das Erzbistum Hamburg. Deshalb ist es wichtig, dass das Bistum Osnabrück so hochrangig auch durch das Domkapitel vertreten ist. Ich weiß, dass der Bischof von Osnabrück gern hier dabei wäre. Er hat mir erklärt, mit welchen Verpflichtungen dieser Termin kollidiert. Im Geist ist er bei uns. Im Dom zu Osnabrück wurden die Geistlichen zu Priestern geweiht. In Lübeck haben sie seelsorglich gewirkt. In Hamburg sind sie ermordet worden. Sie sind eine wichtige geistliche Klammer zwischen unseren Bistümern.
Es gibt aber noch eine andere wichtige geistliche Klammer. Schon zu Beginn des Verfahrens waren wir uns mit der evangelischen Kirche einig: Auch wenn unsere beiden Kirchen sich auf je eigene Weise gemäß ihrer Tradition des Gedenkens der Märtyrer annehmen, so handelt es sich doch immer um ein gemeinsames Gedenken. Der evangelische Pastor und die drei Kapläne bilden eine wichtige geistliche Klammer zwischen unseren Konfessionen. Eine Klammer, die uns bindet und verbindet. Eine Klammer, die ein starkes Signal dafür ist, dass wir zusammengehören und immer mehr zusammenwachsen müssen. Deshalb ist es ein schönes Zeichen, dass Angehörige von Pfarrer Stellbrink hier bei uns sind.
Woran denken Sie, wenn Sie „Lübeck“ hören? Thomas Mann, werden viele antworten. Thomas Mann seinerseits denkt aber auch an die Lübecker Märtyrer. In seinem Beitrag zur Publikation mit dem Titel „Letzte Briefe zum Tode Verurteilter 1939-1945“ schreibt Thomas Mann: „Das schönste Zeugnis für die Gabe christlichkatholischen Glaubens legt der deutsche Kaplan Hermann Lange vor seiner Hinrichtung in dem Brief an seine Eltern ab: ‘Wenn ihr mich fragt, wie mir zumute ist, kann ich euch nur antworten: Ich bin erstens froh bewegt, zweitens voll großer Spannung! Für mich ist mit dem heutigen Tag alles Leid, aller Erdenjammer vorbei – und „Gott wird abwischen jede Träne von ihren Augen“. Welcher Trost, welche wunderbare Kraft geht doch aus vom Glauben an Christus, der uns im Tod vorangegangen ist! An ihn habe ich geglaubt, und gerade heute glaube ich fester an ihn und werde nicht zuschanden werden ... Was kann einem Gotteskind schon geschehen, wovor sollte ich mich denn fürchten? ... Seht, die Bande der Liebe, die uns miteinander verbinden, werden mit dem Tod ja nicht durchschnitten. Ihr denkt an mich in euren Gebeten, und dass ich alle Zeit bei euch sein werde, für den es jetzt keine zeitliche und räumliche Beschränkung mehr gibt.‘ “
Was für ein Vermächtnis! Ähnliche Zeugnisse gibt es ja auch von den anderen Märtyrern. Das darf nicht in Vergessenheit geraten. In Lübeck nicht. Im Erzbistum Hamburg und im Bistum Osnabrück nicht. In Deutschland nicht. Und in der ganzen Welt nicht. Die Anwesenheit der Lübecker hier bei dieser Feier mit dem Bürgermeister und unserem Propst an der Spitze zeigt, dass auch die Stadt Lübeck alles tun will, das Vermächtnis der Lübecker Märtyrer lebendig zu halten.
„Ich werde alle Zeit bei euch sein“, schreibt der Kaplan Hermann Lange. Heute ist sein und seiner Gefährten Todestag. Heute Abend werden wir uns in der Lübecker Herz Jesu Kirche zur Zeit der Todesstunde versammeln. Jetzt, am Morgen des Todestages, setzen wir die Schritte, die uns angemessen erscheinen, das Gedenken der Märtyrer auch für die Zukunft lebendig zu halten. Die Trennwand zwischen Lebenden und Toten ist dünn. In der Feier der Eucharistie jetzt wird aus der Trennwand eine Verbindungswand. Amen.