Sprache

Schriftgröße

Gedenkstätte Lübeck: Tafel 6

Martyrium / Anfang vom Ende

Martyrium

Im Juni 1943 kommt es vor einer Kammer des Volksgerichtshofes, die extra in Lübeck tagt, zum „Prozess“. Das Urteil steht schon vorher fest. Alle vier Geistlichen werden wegen „Rundfunkverbrechen“, „Zersetzung der Wehrkraft“ und „landesverräterischer Feindbegünstigung“ zum Tode verurteilt. Um den gefürchteten Bischof von Galen nicht einzubeziehen, wird der zuvor als maßgeblich erachtete Anklagepunkt „Verbreitung der Galenpredigten“ auf persönliche Initiative Hitlers hin in den Unterlagen getilgt. Die Gnadengesuche und der persönliche Einsatz Bischof Bernings und Frau Stellbrinks bleiben ohne jede Wirkung. Das NS-System will in seinem Hass auf die Kirchen hier ganz offensichtlich ein Exempel statuieren, um angesichts der Wende des Krieges Kritik im Inneren zu ersticken.

Die Verurteilten bereiten sich in der Haft auf das Ende ihres irdischen Lebens vor. In ungebrochener Haltung gehen sie aufrecht und gottergeben in den Tod. Die Abschiedsbriefe bezeugen dieses eindrucksvoll.

Am Abend des 10. November 1943 ab 18 Uhr werden die vier Geistlichen innerhalb weniger Minuten nacheinander mit dem Fallbeil enthauptet.

Anfang vom Ende

Die Kapitulation der sechsten deutschen Armee in Stalingrad im Januar 1943 wird zur entscheidenden Wende des Krieges. In der Folgezeit werden die deutschen Truppen an allen Fronten zurückgedrängt. In der deutschen Bevölkerung mischen sich Entsetzen und Durchhaltewillen mit zunehmenden Zweifeln an der Propaganda.

Die Nationalsozialisten reagieren auf die militärische Wende mit einer nochmaligen Radikalisierung ihrer Politik: So ruft Propagandaminister Goebbels im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943 den „totalen Krieg“ aus. Damit verbunden ist die verstärkte Verfolgung und Bestrafung von Menschen, die Widerstand leisten oder Kritik am Vorgehen des Systems äußern. So werden zum Beispiel am 22. Februar 1943 die Studenten Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst, Mitglieder der Widerstandsgruppe der „Weißen Rose“, mit dem Fallbeil enthauptet.

Der Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler wird zum Symbol einer sich immer mehr steigernden Terrorjustiz in der Diktatur.

Epilog: Die Lübecker Märtyrer

Die Nationalsozialisten sind bestrebt, alle Spuren und Erinnerungen an die Lübecker Geistlichen auszulöschen. Sie verweigern den Angehörigen bis zuletzt die Überstellung der sterblichen Überreste. Die meisten der zehn Abschiedsbriefe, die die vier Männer am 10. November 1943 an ihre Familien, den Bischof von Osnabrück und Dechant Bültel geschrieben haben, werden nicht an die Empfänger ausgehändigt. Besonders für zwei Briefe Hermann Langes und Johannes Prasseks an den Osnabrücker Bischof Berning begründen die Vertreter der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz dies intern mit der Befürchtung, „daß die (...) Briefe auf irgendeine Weise in die Hände Unbefugter gelangen und (...) zu einer dem Staatswohl abträglichen Propaganda verwertet werden“ könnten. Die Nationalsozialisten sehen die Lübecker Geistlichen auch nach ihrer Ermordung ganz offensichtlich noch als eine Gefahr für das System an, weil die militärische Lage Deutschlands sich an allen Fronten dramatisch verschlechtert und im Inneren Unzufriedenheit wächst.

Die Befreiung

Achtzehn Monate später ist das nationalsozialistische Deutschland am Ende. Dem militärischen Zusammenbruch folgt 1944/45 die vollständige Besetzung und Befreiung Deutschlands durch die alliierten Siegermächte Großbritannien, Frankreich, die USA und die Sowjetunion. Am 8. Mai 1945 endet der Zweite Weltkrieg in Europa durch die bedingungslose Kapitulation Deutschlands. Das Ergebnis der größenwahnsinnigen Politik des Nationalsozialismus mit seinem menschenverachtenden Rassenwahn, seinem Terror und seinem Vernichtungswillen sind mehr als 55 Millionen Tote – darunter allein im Holocaust mehr als sechs Millionen ermordete Juden. Ganz Europa liegt in Trümmern. Millionen Menschen verlieren ihre Heimat.

 

zurück zu Tafel 5          weiter zu Tafel 7

 
Freisler im Volksgerichtshof © Bundesarchiv, Bild 183-C0718-0052-001, CC-BY-SA

Bildquelle: © Bundesarchiv, Bild 183-C0718-0052-001, CC-BY-SA