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Bischöfin Maria Jepsen: Christus allein verpflichtet

Predigt am 13. November 2005 in Hamburg

Text: Lukas 16,10-13

Liebe Gemeinde,

Seligsprechungen und Heiligsprechungen sind uns Evangelischen fremd, und doch wissen wir, dass wir Vorbilder des Glaubens brauchen und dass einzelne Menschen sich in besonderer Weise vom Glauben bestimmen und leiten ließen und lassen. 

In unserer Haupt-Bekenntnisschrift, der Augsburgischen Confession von 1530, steht dazu geschrieben: „Vom Heiligendienst wird von den Unseren so gelehrt, dass man der Heiligen gedenken soll, damit wir unseren Glauben stärken, wenn wir sehen, wie ihnen Gnade widerfahren und auch wie ihnen durch den Glauben geholfen worden ist; außerdem soll man sich an ihren guten Werken ein Beispiel nehmen, ein jeder in seinem Beruf.“

So hat unsere evangelisch-lutherische Kirche auch Heiligentage beibehalten, aber nur für solche Personen, die biblisch bezeugt sind, so Johannes der Täufer und Maria, der Apostel und Evangelist Johannes sowie Stephanus und andere, und an ihren Gedenktagen wird in besonderer Weise auf Jesus Christus hingewiesen, wie es die liturgische Farbe bei uns zeigt, weiß, das zu den Christusfesten gehört.

Ganz im Anfang der Reformationszeit wurden auch in Hamburg noch etliche andere Heiligenfeste begangen, zum einen, weil nicht alles sofort geändert werden sollte, zum anderen, weil diese Tage für die Schüler von Bedeutung waren, aus finanziellen Gründen, denn sie waren angewiesen, an diesen Tagen mit Kurrendegesängen Geld zu sammeln und damit ihren Unterhalt zu bestreiten.

Das ist längst anders, und es ist für mich schon eine ernstzunehmende Frage, ob wir unseren Glauben, unser privates und kirchliches Glaubensleben von solchen Begründungen beeinflussen lassen, ja, wieweit unser Glaube überhaupt von der Gewohnheit und von menschlichen Berechnungen, von ganz eigenen oder gesellschaftlichen Einflüssen und Erwartungen bestimmt wird.

Leben wir unseren christlichen Glauben immer auf der Grundlage unserer Bibel, nur der Bibel, sola scriptura? oder haben wir längst vieles anderes untergemischt, einfließen lassen?

Wenn wir beispielsweise das Gedenken an unseren Hamburger Kirchengründer Ansgar ökumenisch feiern, so lassen wir uns daran erinnern, dass er hier den christlichen Glauben stärker verankert hat, in einer Zeit, als wir noch nicht durch Spaltungen getrennt waren, als Ost- und West-Rom sich noch voll gegenseitig anerkannten und die mittelalterlichen Entwicklungen der Kirche noch nicht zu starken eigenen Prägungen geführt hatten.

An den guten Werken der Menschen sollen wir uns ein Beispiel nehmen. Aus dieser Motivation heraus feiern wir auch unseren Reformationstag und lassen uns an diesem Tag in besonderer Weise von Martin Luthers theologischer Einsicht ins Gewissen reden, nicht nur halbherzig und lau unseren Glauben zu leben und unsere Kirche jeweils kritisch zu betrachten und zu reformieren, vom Evangelium der Rechtfertigung und Heiligung, die Gott uns zugesagt hat.  

An den guten Werken sollen wir uns ein Beispiel nehmen, heißt es in der Confessio Augustana, und wir werden dort ermahnt, Jesus Christus als einzigen Heiland, Gnadenstuhl und Fürsprecher vor Gott anzurufen.

Im allgemeinen Totengedenken des Volkstrauertags haben wir heute morgen auch derer gedacht, die den Tod fanden, weil sie an ihrem Glauben festhielten, und wir feiern nun diesen Gottesdienst, in dem wir insbesondere der vier Lübecker Geistlichen gedenken. Diese haben aus Glauben heraus Widerstand gegen die Gewaltherrschaft geleistet. Sie haben sich von dem Evangelium leiten lassen, nicht zwei Herren zu dienen. Nur Gott allein, Christus allein wußten sie sich verpflichtet, verbunden.

Im Geringsten treu zu sein, war ihnen so wichtig, wie im Großen treu zu sein. Sie haben in ihren Gemeinden klare Worte gesprochen und ohne ängstliche Heuchelei oder bequeme Anpassung ihren Dienst getan.

Von ihren Kirchen wurden sie damals nicht so gestützt und geschützt, wie es hätte sein müssen. Die Leitungen der evangelischen und der katholischen Kirche waren darauf aus, mit beiden Herrschaftsbereichen gut auszukommen, der biblischen und kirchlichen Tradition, dem Evangelium Raum zu geben, aber zugleich in Gesellschaft und Politik mitzuschwimmen oder nicht allzu sehr anzuecken. Mutige Worte des Protestes unterblieben, weil man sich gut arrangieren wollte, oder weil man der Ideologie verfallen war.

Die vier Geistlichen haben in unterschiedlicher Weise ihren Glauben gelebt, aber in den entscheidenden Augenblicken haben sie gezeigt, wer der Herr über Himmel und Erde ist, wer Anspruch hat auf unser ganzes Leben, ob wir geweiht, ordiniert sind oder nicht. Denn in der Taufe sind wir alle in den Herrschaftsbereich Jesu Christi hineingeholt, in seine Heiligkeit aufgenommen, gerechtfertigt, obwohl wir immer wieder schwach sind, obwohl unser Dichten und Trachten böse ist von Jugend an und wir in der Sünde gefangen bleiben.

Johannes Prassek und Hermann Lange, Eduard Müller und Karl Friedrich Stellbrink sind dem gefolgt, wie es in der Barmer Erklärung von 1934 formuliert ist: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.“

Sie wollten nicht zwei Herren dienen, sondern nur dem einen, Jesus Christus, der von uns Klarheit und Geradlinigkeit erwartet, im Geringsten wie im Großen. Und sie waren bereit, dafür zu einzustehen, bis zum Tod, der ihnen angedroht wurde, den sie nach langer schlimmer Haftzeit im Gefängnis und nach der Wartezeit in der Gnadenkirche hier nahebei erlitten.

An ihren guten Werken sich ein Beispiel zu nehmen, – dazu sind wir aufgerufen, wir alle, die wir uns auf Jesus Christus als unseren Herren berufen, und wir haben aus ihrer Klarheit und von ihrem Mut zu lernen, heute im Geringsten wie im Großen treu zu sein. Das betrifft zum einen unser Leben, das sich vom Mammon oft mehr bestimmen läßt als von der Barmherzigkeit Gottes, von der Nächstenliebe, von dem, was Jesus uns so eindrücklich in der Bergpredigt ans Herz legt.

Was ist uns wichtiger? Wo treten wir ein für die Armen und Geschundenen unter uns und in der weiten Welt? Wo erheben wir unsere Stimmen, wenn Flüchtlingen keine Zuflucht gewährt wird, wenn unsere Staaten in Europa sich mit allen Mitteln abschotten ?

Johannes Prassek wuchs in Hamburg auf, besuchte hier die Schule, legte sein Abitur am Johanneum ab. Ein Junge wie viele andere, einer, der sich nach dem Theologiestudium zum Priester weihen ließ und später in Lübeck als Geistlicher Dienst tat, wie die anderen drei. Sie alle waren gewiss nicht immer die Mutigsten gewesen, aber sie ließen sich in den entscheidenden Zeiten klar vom Evangelium leiten, das ihnen anvertraute Evangelium, den ihnen anvertrauten Dienst in Treue und Gehorsam auszuüben. Gegenseitig haben sie sich in ihrem Glauben gestärkt und sind ihren geistlichen Pflichten nachgekommen. Sie haben sich den Herrschaftsbefugnissen der NS-Ideologie nicht untergeordnet. Sie haben Gott mehr gehorcht als den Menschen.      

Auch heute brauchen wir solche mutigen Menschen, die nicht halbherzig nur ihren Glauben leben. Wir brauchen die gegenseitige Unterstützung, dass wir alle Verdrehungen und Verharmlosungen der guten  Botschaft Gottes bei Namen nennen, im persönlichen und kirchlichen, im gesellschaftlichen und politischen Leben. Wir haben wachsam  uns selber und das, was in unseren Kirchen geschieht, von ihnen gesagt und weitergegeben wird, zu prüfen, kritisch in Beziehung zu setzen mit dem, was die Bibel, die Bibel allein, von uns fordert.    

Die vielen Rücksichtnahmen auf die öffentliche Meinung, unser ängstliches Auftreten und Angepasstsein fällt uns selber vielleicht gar nicht so sehr auf, aber unsere Partnerkirchen sehen es und sagen uns sehr klar, wie lau wir geworden sind.

Gott ist unser Herr, der Vater Jesu Christi, dem wir zu folgen haben, auch dann, wenn der Ruf nach Zurückhaltung und Mäßigung in der kritisch-sozialen Verantwortung der Kirche laut wird, wenn nach straffreier aktiver Sterbehilfe gerufen wird. „Du sollst nicht töten!“, diesem Gebot haben wir zu folgen und alles zu unternehmen, dass Todesstrafe und schmerzhafter und einsamer Tod verhindert wird.

Gott ist unser Herr, der Vater Jesu Christi, der uns begleitet auf allen unseren Wegen, auch in den dunkelsten Augenblicken.

Aus diesem Glauben heraus haben die vier Geistlichen gelebt und in diesem Glauben gingen sie in den Tod, als sie am 10. Nov. 1943 im Drei-Minuten-Takt mit der Guillotine am Holstenglacis enthauptet wurden.

Johannes Prassek schrieb noch wenige Stunden vor seiner Hinrichtung an seine Familie: „Seid nicht traurig! Was mich erwartet, ist Freude und Glück, gegen das alles Glück hier auf der Erde nichts ist... Was ich für Euch habe tun können, dass ich täglich für Euch gebetet habe, werde ich jetzt noch viel mehr tun können.“ So lebten und so starben sie alle.

Liebe Gemeinde, diese Glaubenskraft möge Gott uns allen schenken, auf dass wir ihm im Geringsten wie im Großen treu sind, zu Hause wie in der Öffentlichkeit Gottes Willen tun und damit seiner Barmherzigkeit und Heiligkeit Raum geben, wo auch immer und wie auch immer wir leben und sterben.  Das ist gewisslich wahr: wer so glaubt, der verliert seine Angst, der kann getrost und unverzagt seinen Weg gehen, als von Gott geliebter und geheiligter Mensch. Amen.

 

Info


Bischöfin Maria Jepsen, Bischöfin des Sprengels Hamburg in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche hielt anlässlich des 62. Todestages der Märtyrer im Kleinen Michel am 13. November 2005 die Predigt.