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Erzbischof Thissen: Mit Herzklopfen gelesen

Grußwort anlässlich der Buchpräsentation „Geführte Wege“ am 28. September 2010 in Lübeck

Sehr geehrte Damen und Herren,

über die frühe Christenheit schreibt der am vorletzten Sonntag selig gesprochene John Henry Newman: „Es war das Zeitalter der Märtyrer. Es war das Zeitalter des Handelns, nicht des Denkens.“[1] Er will damit sagen: Am Beginn stand das Zeugnis und das Bekenntnis. Am Beginn stand das aktive Einstehen für den Glauben und das Tragen der damit einhergehenden, oftmals furchtbaren Konsequenzen.

Die Jahre zwischen 1933 und 1945 waren ebenfalls eine Zeit, die das Handeln notwendig machte. Natürlich gehören Handeln und Denken zusammen. Das eine befruchtet das andere und umgekehrt. Doch gibt es Zeiten, da ist auf Grundlage all des schon Gedachten vor allem ein aktives Tun notwendig, um den Glauben zu bewahren und Frieden und Gerechtigkeit weiterhin zum Durchbruch zu verhelfen.

Was während der Zeit des nationalsozialistischen Regimes dieses christliche Handeln so schwierig machte, war der Umstand, dass aktives Handeln gleichzusetzen war mit Widerstand. Das Regime duldete keinerlei Opposition. Und wer sich für Gerechtigkeit und Recht, für Frieden und Versöhnung einsetzte, hatte sich damit gegen die Herrschenden gewandt. Vielen Menschen fielen das christliche Handeln und das mutige Bekenntnis deshalb schwer. Im Sinne des Evangeliums zu handeln provozierte eine Gegenreaktion. Verfolgung, Haft und Tod konnten die Folge sein. Die Zahl der Märtyrer aus diesen Jahren ist groß.

Märtyrer wurden von Beginn der Kirchengeschichte an dort am meisten verehrt, wo sie gelebt und gehandelt hatten und letztlich auch den Tod fanden. Lokal haben sie ihren Glauben bezeugt. Global wurden sie oftmals verehrt. Denn allen Gläubigen war klar: Diese Männer und Frauen, die um Christi Willen sterben, sind Zeugen des einen Glaubens und der ganzen Kirche. Um es etwas umständlich auszudrücken: Märtyrer sind partikulare Zeugen eines universalen Heils. Das drückt seitens der katholischen Kirche eine Seligsprechung aus.

Für Hermann Lange, Eduard Müller, Johannes Prassek und Karl-Friedrich Stellbrink gilt das ebenso. Gelebt und gewirkt haben sie hier in Lübeck. Dabei standen ihnen das mutige Bekenntnis und der Widerstand anfangs keineswegs nahe. Es bedurfte auch bei ihnen großer Überwindung und innerer Umkehr, um sich der christlichen Verantwortung für Glauben, Frieden und Gerechtigkeit in diesen Schreckensjahren bewusst zu werden. Sie haben sich dieser Verantwortung gestellt. Hier in Lübeck. Ihr Handeln und ihr Märtyrertod machen diese Vier aber auch zu Zeugen eines universalen Heils. Sie bekennen, dass Gott der Herr der Welt ist und nicht Hitler oder ein anderer Diktator.

Das hat vor kurzem Papst Benedikt bestätigt. In einer Rede vom Anfang September sprach er: „Die bezeugte Freundschaft der vier [Lübecker] Geistlichen im Gefängnis ist ein eindrucksvolles Zeugnis der Ökumene des Gebets und des Leidens, wie sie vielerorts in jenen dunklen Tagen nationalsozialistischen Terrors unter Christen verschiedener Konfessionen aufgeblüht ist. Für unser gemeinsames Voranschreiten in der Ökumene dürfen wir diese Zeugen dankbar als leuchtende Wegmarken wahrnehmen. An diesen Märtyrern wird exemplarisch deutlich, wie Menschen aus ihrer christlichen Überzeugung heraus für den Glauben, für das Recht der ungehinderten Religionsausübung und der freien Meinungsäußerung, für Frieden in Freiheit und für die Menschenwürde ihr Leben hinzugeben bereit sind.“[2]

Ich freue mich sehr, dass sich Herr Professor Voswinckel mit seinem Buch „Geführte Wege“ des Zeugnisses der vier Lübecker Märtyrer angenommen hat. Ich habe das Buch von der ersten bis zur letzten Seite mit Herzklopfen gelesen. Drei Stichworte durchziehen das ganze Werk: Zeugnis für Christus – Ökumene – menschliches Verhalten in unmenschlicher Umgebung.

Die Seligsprechung der drei Lübecker Kapläne und das ehrende Gedenken für Pastor Stellbrink sagen uns: Das Handeln der vier Märtyrer ist nicht in der Vergangenheit konserviert. Ihr Leben, ihre Taten, ihr Bekenntnis wirken auch heute mächtig weiter.

Das alles wird in dem Buch anschaulich, anspruchsvoll und ansprechend geschildert.


[1] Newman, John Henry 1927: An Essay on the Development of Christian Doctrine, 17. Auflage, London: Longmans, S. 361, Übersetzung BC.
[2] Benedikt XVI.: Ansprache an Herrn Walter Jürgen Schmid, neuer Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Hl. Stuhl, Montag, 13. September 2010.

 

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Erzbischof Dr. Werner Thissen sprach das Grußwort anlässlich der Präsentation des Buches „Geführte Wege“ von Peter Voswinckel am 28. September 2010 in Lübeck

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